Phytophthora infestants dossier

©Klaas Eissens Agrico RS 25 07 19 Phyt. Rooien 1Ej, Zaden Tellen, AM Lab 7

Nuancen in der Diskussion über Phytophthora und moderne Züchtungen.

Dieser Artikel stammt aus dem Potato Magazine, Ausgabe 43 (April 2024), und wurde von Sjefke Allefs, Leiter F&E bei Agrico Research, verfasst.

Nach Jahren mit zunehmenden Problemen Aufgrund von Phytophthora in den Kartoffelbeständen weltweit und dadurch große Enttäuschungen hinsichtlich der Leistungsfähigkeit von Sorten mit Resistenz wird diesem Thema in Fachzeitschriften auch große Aufmerksamkeit gewidmet. Oft scheint es so, dass zu diesem Thema schon fast ein Titanenkampf hinsichtlich der resistenten Kartoffelsorten herrscht. Es schien mir daher an der Zeit für eine Klarstellung zu diesem Thema „Phytophthora und Next Generation-Sorten“. Ich möchte also zeigen, worin sich unsere Erkenntnisse in Bezug auf Phytophtera-Stämme, Resistenzgene und die Verwendung der Next Generation-Sorten von den vielen „Wettbewerbern“ unterscheiden.

 

Phytophthora steht wieder einmal im Brennpunkt des Interesses

In den Fachmedien war in letzter Zeit viel über die Bekämpfung von Phytophthora zu lesen. Befürchtet wird, dass die Bekämpfung von Phytophthora in dieser Saison aufgrund des hohen Drucks im Jahr 2023 und des Vorhandenseins von Stämmen, die gegen häufig verwendete Pflanzenschutzmittel resistent geworden sind, schwierig sein wird. Gleichzeitig wird auch die Meinung vertreten, dass von resistenten Sorten nur wenig zu erwarten sei, da bei diesen Sorten sämtliche Resistenzen bereits durchbrochen seien.

Agrico hatte bereits vor einiger Zeit das Bedürfnis, für die eigenen Erzeuger einiges in Bezug auf diese Berichte klarzustellen. Über den Link am Ende dieses Artikels gelangen Sie zu unserer Darstellung auf unserer Website.

Die epidemiologische Beziehung zwischen Kartoffeln und Phytophthora ist schon seit anderthalb Jahrhunderten Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Forschung und mittlerweile ist auch sehr viel darüber bekannt. Allerdings fällt es Marktteilnehmern offensichtlich schwer, differenzierte Aussagen darüber zu treffen. Ich stelle fest, dass die komplexe Thematik auf eine handvoll allgemeiner Erkenntnisse reduziert wird, und dadurch immer wieder wiederholt wird.

In diesem Artikel möchte ich vor allem auf jene Aspekte eingehen, zu denen zwischen uns Kartoffelzüchtern und Experten in der Branche unterschiedliche Meinungen bestehen.

Da zudem vermutet wird, dass Agrico ihre Next Generation-Sorten als reine Werbekampange nutz und es deshalb mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, habe ich in diesem Artikel mit Nummern auf wissenschaftliche Quellen verwiesen, mit denen ich meine Ansichten belegen kann. Am Ende dieser Seite finden Sie einen Link zum Quellenverzeichnis.

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©Klaas Eissens Agrico RS 25 07 19 Phyt. Rooien 1Ej, Zaden Tellen, AM Lab 7

Stämme und Virulenz

Seit den 1970er-Jahren sind in Europa beide Paarungstypen von Phytophthora vertreten.1 Von 1845, als Phytophthora erstmals in Europa nachgewiesen wurde, bis Mitte der 1970er-Jahre war nur ein Paarungstyp vorhanden. Dies war der sogenannte A1-Typ. Zu jener Zeit war keine sexuelle Reproduktion möglich und Phytophthora breitete sich ausschließlich über Zoosporen aus, die wir als grauen Flaum auf der Unterseite befllener Blätter kennen. Jede Zoospore ist eine Kopie der Mutterzelle und man spricht daher von einem Klonstamm. Der ursprüngliche Stamm aus der Zeit vor den 70er-

Jahren erhielt den Code US-1 und kam sowohl in Nordamerika als auch Europa vor. Als sich um 1980 herausstellte, dass auch der zweite Paarungstyp, A2, in Europa aufgetaucht war, war klar, dass sich Phytophthora nun auch sexuell fortpflanzen kann. Die sexuelle Reproduktion führt zur Bildung von Oosporen und sobald diese keimen, entstehen neue Phytophthora-Stämme, die sich wie Kinder einer Familie voneinander und von ihren Elternstämmen unterscheiden. Durch Zufall konnten aus Zoosporen sehr fitte, genetisch neue Stämme entstehen, die sich erfolgreich über ihre Zoosporen, also als Klonstämme, ausbreiteten. Der alte Stamm US-1 verschwand und wurde durch diese neuen Klonstämme ersetzt. Die Bildung neuer Stämme aus Zoosporen setzt sich weiter fort, aber nur selten können sie mit den fittesten Klonstämmen konkurrieren. Klostämme, die in mehreren Jahren gefunden werden und einen gewissen Bruchteil des Ganzen ausmachen, erhalten eine Nummer. Ein Beispiel ist der Stamm, der derzeit häufig vorkommt: EU_43_A1. Die Bezeichnung ergibt sich daraus, dass er der 43. dominierende Klonstamm ist, der in Europa gefunden wurde, und dem A1-Typ zugeordnet werden kann.

Ende dieses Artikels gelangen Sie zum Quellenverzeichnis. Zu Zeiten, als viele Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Fluazinam verwendet wurden, wurde der Stamm EU_33_A2 immer häufiger in Untersuchungen nachgewiesen. Laboruntersuchungen zeigten, dass dieser Stamm weniger empfindlich auf Fluazinam reagierte als andere Stämme. Als Fluazinam weniger häufig eingesetzt wurde, verschwand EU_33_A2 nahezu von der Bildfläche und andere Klonstämme wurden dominant.2 Die Beobachtungen rund um EU_33_A2 und den Einsatz von Fluazinam legen nahe, dass Phytophthora-Stämme offenbar genetische Veränderungen durchmachen können, die sie unempfindlich oder weniger empfindlich gegenüber den Wirkstoffen in Fungiziden machen können. Die Eigenschaft, dass sie auf ein Fungizid nicht mehr ansprechen, scheint der jeweilige Stamm erworben zu haben, und bleibt bei allen Nachkommen, die aus den massenhaft gebildeten Zoosporen entstehen, erhalten.

Leider wird oft davon ausgegangen, dass etwas Ähnliches auch für die Fähigkeit eines Stamms, die Resistenz einer Next Generation-Sorte zu

durchbrechen, gilt. Eine solche Fähigkeit wird in der Biologie mit dem Begriff ‚Virulenz‘ bezeichnet. Ein Krankheitserreger wie Phytophthora ist virulent gegenüber dem Resistenzgen X, wenn er die Fähigkeit hat, der Erkennung durch das Resistenzgen X zu entgehen, wodurch die Resistenzreaktion der Pflanze ausbleibt und die Pflanze daher befallen wird. Grundsätzlich sind Krankheitserreger avirulent. Das heißt, sie kommen in einem Zustand vor, in dem sie vom Resistenzgen X erkannt werden, wodurch eine wirksame Resistenzreaktion ausgelöst wird und die Infektion nicht zustande kommen kann. Kurzum: Wenn eine Spore von Phytophthora mit Avirulenz gegenüber dem Resistenzgen X auf einem Kartoffelblatt landet, wird die Pflanze nicht krank. Landet hingegen eine virulente Spore auf dem Blatt, wird die Pflanze krank und man sagt, dass die Resistenz ‚durchbrochen‘ wurde.

Next Generation Potatoes
Robuuste Rassen Phyt 1

Durchbrochene Resistenz von Next Generation-Sorten

Sowohl die Entwicklung einer Unempfindlichkeit gegenüber Wirkstoffen in Fungiziden als auch die Entwicklung einer Virulenz gegenüber Resistenzgenen in Sorten basieren auf genetischen Ereignissen in den Phytophthora-Stämmen. Allerdings sind die genetischen Ereignisse auf einer tieferen biologischen Ebene sehr unterschiedlich. Es würde zu weit führen, hier genau zu erklären, wie das funktioniert. Fakt ist aber, dass Veränderungen, die zu einer Unempfindlichkeit gegenüber Wirkstoffen führen, selten und irreversibel sind und mit einzelnen Stämmen, wie im Beispiel EU_33_A2, der unempfindlich gegenüber Fluazinam war, verbunden sind. Veränderungen, die bei Sorten mit Resistenzgenen zu Virulenz führen, treten dagegen häufig auf und sind oft (aber nicht immer3) reversibel: von virulent zu (wieder) avirulent.4 Da Veränderungen, die zu einer Virulenz und Avirulenz führen, so häufig sind, sind sie nicht mit bestimmten Stämmen verbunden. Jeder Stamm kann hinsichtlich seiner Fähigkeit, die Resistenz von Sorte zu durchbrechen, in allen denkbaren Variationen vorkommen.5 Daher haben wir als Züchter bei

Agrico keinerlei Interesse an der Dynamik von kommenden und gehenden Stämmen. Für uns hat sich seit dem Aufkommen des A2-Typs von Phytophthora in den 1970er-Jahren nichts geändert. Auch der alte Stamm US-1 hatte bereits die Fähigkeit, Resistenzen zu durchbrechen, und viele Studien beschreiben daher auch seine große Variation in der Virulenz.6 Wenn Sie also in Fachzeitschriften Schlagzeilen wie „Alle bekannten Kartoffelsorten sind anfällig für EU_43_ A1“7 lesen, sollten Sie sich bewusst sein, dass dies bedeutet, dass manche Varianten von EU_43_A1 Sorte X und andere Varianten von EU_43_A1 Sorte Y befallen können. Darüber hinaus lassen sich ganz leicht Varianten von EU_43_A1 finden, die weder Sorte X noch Sorte Y befallen können.

1966 wurden zwei brandneue Resistenzgene in primitivem Zuchtmaterial beschrieben. In einer historischen Sammlung von Phytophthora-Isolaten war eine Virulenz bereits weit verbreitet.10 In Ländern wie den USA, wo nahezu keine Resistenzgene in Sorten eingesetzt werden, beträgt die durchschnittliche Anzahl der Virulenzen in einem beliebigen Isolat des US-Stamms im Schnitt 8 oder 9, maximal können es 11 sein. Selbst auf einem künstlichen Nährmedium ohne Kartoffeln weichen Kulturen aus einzelnen Zoosporen in ihrer Fähigkeit, Resistenzgene zu durchbrechen oder aber durch sie gehemmt zu werden, stark von der Mutterzelle ab. Auch auf der Ebene von DNA und Genen entsteht immer mehr Klarheit darüber, wie sich die große Fähigkeit von Phytophthora zur Variabilität erklären lässt. Es zeigt sich immer wieder, wie schwer es für Menschen ist, die sich mit diesem Thema beschäftigen, zu verstehen (und zu akzeptieren), dass resistente Sorten nur einen geringen oder sogar gar keinen Selektionsdruck auf Phytophthora ausüben und dass es längst nicht immer eingekreuzte Resistenzgene gibt, die für immer unbrauchbar geworden sind. Viele Beobachtungen in der Praxis weisen darauf hin, dass zwischen einer Kartoffelpflanze und Phytophthora eher ein Glücksspiel besteht, dessen Ausgang je nach Jahr und Standort unterschiedlich ist. Wissenschaftliche

Erkenntnisse über diese Dynamik in Raum und Zeit sind jedoch begrenzt. Es scheint logisch, anzunehmen, dass bei einem hohen Befall bei einer Next Generation-Sorte in der vorhergehenden Saison und somit möglicherweise vielen latent infizierten Knollen auf dem Feld die daraus entstehenden Durchwuchskartoffeln im Frühsommer eine wesentliche Infektionsquelle für alle Sorten, die mit dem entsprechenden Resistenzgen ausgerüstet sind, darstellen. Aber sicher wissen wir das nicht. Wir wissen auch nicht, wie groß die Gebiete sind, in denen innerhalb einer Saison virulente Phytophthora-Populationen einen Druck ausüben. Genau aus diesem Grund rufen wir alle Erzeuger dazu auf, ihre Beobachtungen bei Sorten, im Besonderen den Next Generation-Sorten, unseren Außendienstmitarbeitern zu melden, damit wir im Laufe der Saisons mehr Erkenntnisse darüber gewinnen und diese für unsere weiteren Züchtungstätigkeiten nutzen können.

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Next Generation resistance to late blight

Zinnsoldaten

Dies bringt mich zu einem weiteren Irrglauben: Oft wird so getan, als wären Resistenzgene einander gleichende Zinnsoldaten, die einer nach dem anderen umfallen und dann – hier haben wir es wieder – für immer unbrauchbar werden. Aber Resistenzgene wirken längst nicht alle so, dass sie zu vollständiger Resistenz der Sorten führen. Manche ergeben höchstens eine im Vergleich zu anfälligen Sorten gerade noch als solche erkennbare Resistenz. Zudem gibt es zwischen Resistenzgenen große Unterschiede in der Häufigkeit, mit der eine Virulenz in der Praxis auf einem Feld auftritt. Die Realität ist auch hier viel differenzierter, als suggeriert wird.

Das häufige Auftreten von Virulenz, das dazu führt, dass auch Next Generation-Sorten befallen werden, ist für Züchter keinerlei Grund, sich geschlagen zu geben. Es wird erwartet, dass bei der Kombination mehrerer Resistenzgene in einer Sorte diese Sorten weniger häufig und in weniger Gebieten von virulenten Varianten von Phytophthora, die im Laufe einer Saison entstehen oder vom Wind gebracht werden,

befallen werden. Über einen längeren Zeitraum betrachtet werden die Sorten also immer stärker, obwohl sie doch ausschließlich ‚durchbrochene‘ Resistenzgene in sich tragen. Wir können leider nicht wissen, welche Kombinationen von Resistenzgenen letztendlich in der Praxis am wirksamsten sind, und setzen daher auf Breite.

Doktor Bibber

Nun, was wird die Saison 2024 konkret bringen und wie soll man mit dem Anbau der derzeitigen Next Generation-Sorten umgehen? Da 2023 in Bezug auf Phytophthora ein schwieriges Jahr war und es einige Probleme mit der Wirksamkeit einiger Pflanzenschutzmittel gegeben hat, können es manche nicht lassen, in der aktuellen Saison Doktor Bibber zu spielen. Die Frage, ob der Krankheitsdruck in einer Saison durch den Druck in einer vorherigen Saison beeinflusst wird, wurde für die Niederlande schon einmal gründlich untersucht.17 In einem Diagramm dargestellt, schien es über einen Zeitraum von 47 Jahren keinen Einfluss des Krankheitsdrucks in einem bestimmten Jahr auf den Druck im darauf folgenden Jahr zu geben. Obwohl Statistiken diesen Effekt ebenso signifikant nachwiesen, zeigte sich, dass meteorologische Faktoren wie Temperatur und Anzahl der Tage mit Niederschlag viel wichtiger für das Ausmaß, in dem Phytophthora die Kartoffelerzeuger einer Saison beschäftigte, waren.

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Empfehlung

Für Bio-Bauern ist der Anbau von Next Generation-Sorten auf jeden Fall sinnvoll, da diese derzeit schlichtweg die resistentesten Sorten sind, die wir anbieten können. Darüber hinaus ist es sinnvoll, Sorten mit verschiedenen Resistenzgenen zu wählen, um so die Risiken im Betrieb etwas zu streuen. Das Vorkeimen von Pflanzkartoffeln hilft, die Kultur noch etwas zu verfrühen. Aufgrund der Art der ökologischen Wirtschaftsweise bleibt kaum eine andere Wahl, als danach auf das Beste zu hoffen und das Laub rechtzeitig abzubrennen, wenn es infiziert ist.

Im Hinblick auf die Nutzung von Resistenzen in Next Generation-Sorten im konventionellen Anbau wurden in den letzten sechs Jahren gemeinsam mit Agrifirm Feldversuche durchgeführt. Diese Versuchsreihe hat gezeigt, dass der Vorteil der Resistenz vor allem am Anfang der Kultur genutzt werden kann: Es bedeutet einfach, dass die Resistenz ihre Arbeit machen soll, bis sie es nicht mehr kann. Sobald der erste Befall oder die ersten Herde auf dem eigenen Feld oder auf Feldern im selben Anbaugebiet bei Sorten mit demselben Resistenzgen nachgewiesen werden, muss auf die Anwendung von Fungiziden nach derselben Strategie, die bei anfälligen Sorten ab diesem Zeitpunkt zum Einsatz kommt, umgestellt werden. Mir ist bewusst, dass die Schwäche dieser Empfehlung darin liegt, dass die Überwachung der Felder zeitraubend ist. Insbesondere bei Witterungsbedingungen mit hoher Infektionsgefahr muss die Kontrolle häufiger als einmal pro Woche erfolgen. Deshalb hier noch einmal der Aufruf, einen Befall bei Next Generation-Sorten – ganz gleich ob im konventionellen oder ökologischen Anbau – dem Außendienst zu melden, damit Agrico die Entwicklungen im Laufe der Anbausaison im Blick hat und diese Informationen an die Erzeuger zurückmelden kann.

Ein Quellenverzeichnis ist für diesen Artikel verfügbar.

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